Gerard Radnitzky

DIE VERBOTENE TRAUER

Rezension von:

Klaus Rainer Röhl,  Verbotene Trauer. Ende der deutschen Tabus.

München, 2002

"Wir haben gottlob einen Rechtsstaat. Aber leider ist er nicht

identisch mit dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland."

Johannes Gross (Capital Nr. 1/1994).

 

Die Ächtung eines ganzen Volkes hat sich wohl am deutlichsten dadurch ausgedrückt, daß es über die Leiden und Grausamkeiten des Bombenterrors und der Vertreibung nicht einmal laut klagen durfte. Es gibt auffallend wenig zu diesem Thema in der zeitgenössischen Literatur. Die Reemtsma-Ausstellung versuchte zunächst, die Wehrmacht zu diffamieren. Nachdem polnische und ungarische Historiker Fälschungen aufgedeckt hatten, wurden geringfügige Korrekturen vorgenommen. Dabei war die Frage unterschlagen worden: Wer hätte Stalin daran hindern können, bis an den Atlantik vorzudringen, daran, Lenins Plan durchzuführen? Nur dank des zähen Widerstands an der Ostfront war es möglich, den Rand Europas vor dem sowjetischen Totalitarismus zu bewahren. Ein kompetentes Buch zu dem zentralen Thema erscheint daher wie ein Glücksfall:

Klaus Rainer Röhl. 2002. Verbotene Trauer. Ende der deutschen Tabus.

München: Universitas (Herbig).

Kl. R. Röhls jüngstes Buch ist m. E. sein wichtigstes. Es ist ein notwendiges, beispiels- und zeugnishaftes Buch. Plastisch und eindrucksvoll macht er das tatsächliche Erleben von mindestens drei Generationen von Deutschen lebendig. Der Titel sagt alles: die Trauer, die fast alle Familien betroffen hat, der Bombenterror mit gut 600.000 Ermordeten – fast nur Zivilisten, Frauen, Alte und Kinder – und 800.000 Verletzten, in einem Luftkrieg, als dessen Ziel Churchill die Zerstörung der Moral der Zivilbevölkerung erklärt hatte; durch Terror zerstören. Die Directive No. 22 vom 4. 2. 42 wies die Royal Airforce an, nur Wohngebiete zu bombardieren, keine militärischen oder industriellen Ziele. Churchill ist demnach ein Kriegsverbrecher und Massenmörder – und Terrorist. Er selbst verwendete übrigens den Ausdruck "terror bombing" (zuletzt in seinem Memorandum "for the chief of staff", einige Tage nach dem Angriff auf Würzburg). Der Royal Airforce gelang es zwar nicht, den Aachener Dom zu zerstören, aber Churchill bekam immerhin den Karlpreis in Aachen verliehen, wohl als Trostpreis. Noch am 3. Mai 45 jagten Tiefflieger fliehende Menschen wie Hasen. Guido Knopp servierte dem Fernseh-Publikum dann seine Geschichtsklitterungen. (Daß Churchill einen Antrax-Angriff gegen Deutschland vorbereitete, ist wohl dokumentiert und ebenso verschwiegen.)

Im Kapitel "Krieg gegen die Hütten" beschreibt Röhl, wie der Prager Sender am 5. Mai 1945 von Partisanen erobert wurde und die tschechische Übersetzung von Il'ja Ehrenburgs Propaganda ausstrahlte. Seine Aufforderung lautete lapidar: "Tötet den Deutschen, wo ihr ihn findet, macht keinen Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten, tötet Frauen und Kinder, rottet alle aus..." Ich kann mich als Zeitzeuge anbieten: Ich war damals in Schweden und hörte die tschechischsprachige Hetzpropaganda im Radio. Sie war erfolgreich und kostete Tausenden Deutschen das Leben. Insgesamt wurde gut 270.000 Sudetendeutsche ermordet. Es ist daher ein Hohn, daß das Feuilleton der FAZ – unter der Ägide des ehemaligen polnischen Geheimdienstmannes Reich-Ranicki (Personalakte "Marceli Reich" des kommunistischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit [NZZ 13. 8. 02, S. 29]) – Ehrenburgs ehrend zum "Hundertsten Geburtstag" (1991) gedachte und der Sender SW2 ihn am 20. 2. 2000 im Programm "Profile" feierte – amüsanterweise als einen "großen Humanisten". Ein Prachtbeispiel für das, was Röhl (Kap. 22) als "Nationalmasochismus" bezeichnet. Fast möchte man meinen, es waren Hellseher, die Röhls Buch voraussahen und eine exemplarische Illustration liefern wollten. Daß diese Ehrungen kein Einzelfall sind, kann man aus zahllosen anderen Beispielen sehen. Marlene Dietrich ging aus Karrieregründen bereits 1930 nach Hollywood. Sie erklärte nach dem Kriege feierlich, mit den Opfern des Feuersturms in Hamburg, den Kellerleichen, den Brand-, Schrumpfleichen usf., könne sie keinerlei Mitleid fühlen. Die deutschen Behörden ehrten sie mit einer Briefmarke. Die Fortsetzung der Kriegspropaganda war und ist politisch korrekt.

Noch heute verordnet die Politische Korrektheit eine kollektive Amnesie – nebst Schuldkult in den Massenmedien. Daß entgegen allem Völkerrecht zweieinhalb Jahre nach Kriegsende noch zwei Millionen deutsche Kriegsgefangene in alliierten Ländern (außer in den USA) als Zwangsarbeiter zurückgehalten wurden, wird heute totgeschwiegen, während über die Kompensation für andere Zwangsarbeiter fleißig parliert wird. Es gibt aber auch Beispiele, wo nicht nur eine inoffizielle, auf medialer Macht beruhende Politische Korrektheit Wahrheits- und Trauerverbote durchsetzt, sondern wo auch staatliche Stellen sich um Trauer- und Wahrheitsverhinderung bemühen.

Auch Dwight Eisenhower ist ein Massenmörder und Kriegsverbrecher. Auf seine Anordnung hin kamen rund eine Million deutscher Kriegsgefangener in den berüchtigten Rheinwiesenlagern durch Entbehrungen, Hunger und Epidemien zu Tode. Um nicht später wegen Verstoßes gegen die Genfer Konvention zur Rechenschaft gezogen zu werden, entzog er den Soldaten den Status als Kriegsgefangene. (S. Baque, James, 3. Aufl. 1994. Der geplante Tod. Berlin: Ullstein.) Hilfstransporte mit Lebensmitteln und Medikamenten des Schweizer Roten Kreuzes wurden von Eisenhower zurückgewiesen mit dem Kommentar: "Die Deutschen sollen leiden." Unterdessen starben die deutschen Kriegsgefangenen massenweise. Viele hatten die Ruhr und stürzten entkräftet in die Latrinengruben, wo sie erstickten. Wieviele Schichten übereinander heute noch dort liegen, weiß niemand. Symptomatisch für viele dieser Lager war das US-Kriegsgefangenenlager Bretzenheim. Der Bauer Tullius, dem das Ackerland gehört, auf dem dieses Lager sich befand, förderte beim Pflügen immer wieder Knochen und Schädel zutage und beauftragte daraufhin den Grabungsexperten Schmitt, die sterblichen Überreste zu bergen, damit sie an würdiger Stätte beigesetzt und viele Vermißtenschicksale aufgeklärt werden könnten, was anhand der Erkennungsmarken auch heute noch möglich ist. Wie man erfährt, hat jedoch eine Gruppe von leitenden Mitarbeitern der Kreisverwaltung Bad Kreuznach und des Kreis-Rechtsausschusses, sowie einiger Richter am Verwaltungsgericht in Koblenz jegliche Bergungsgrabung unterbunden. Quid tacet, consentire videtur. (Wer schweigt, scheint zuzustimmen.)

Das geistige Klima der offiziellen BRD kontrastiert mit demjenigen Rußlands. Der Fernsehsender ARD sendete unter Tagesthemen am 22.06.00 einen Bericht, in welchem das Thema Soldatenfriedhof im Raum Petersburg behandelt wurde. Dort bemühte man sich um eine würdige Bestattung der sterblichen Überreste gefallener deutscher Soldaten, obgleich diese erst von den damaligen Schlachtfeldern zusammengesucht werden mußten.

Das wichtigste und größte Kapitel des Buches ist dem Thema Vertreibung gewidmet. Bei Kriegsende und vor allem danach wurden 15 Mio. Deutsche vertrieben, wobei gut 2 Mio. ermordet wurden. Über diese Opfer und deren Leiden zu trauern, war nicht opportun, ja es verstieß gegen die verordnete "politische Korrektheit". Diese ist heute zu einer Art politischer Religion geworden; sie ist nahezu allgegenwärtig, ebenso wie Heuchelei und Feigheit – der "Pesthauch der Frankfurter Schule" (Roland Baader). Die 68er haben den langen Marsch durch die Institutionen geschafft und beherrschen zurzeit die Chefetagen des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der sich aus einer Empfängersteuer bequem und reichlich alimentiert. Wie sehr sich diese Republik gewandelt hat, sieht man beispielhaft daran, daß der damalige Bundespräsident Richard v. Weizsäcker zum 8. Mai 1985, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation gegenüber den Sowjets (nicht gegenüber den Westalliierten), die Kapitulation als "Befreiung" bezeichnen konnte (entgegen den offiziellen Erklärungen der Besatzer) – ohne daß es einen öffentlichen Aufschrei gab. Die jüdische Zeitschrift Chronicles. A Magazine of American Culture, Januar 1997, S. 16, nennt Richard v. Weizsäcker "lickspittle" – zu Deutsch "Speichellecker". Die "großen" Vertreiber hatten und haben dieselbe Motivation, aber sehr verschiedene Schicksale: Die CZ hält an den Benes-Dekreten fest, Milosevicz sitzt im Gefängnis, und Sharon ist ein Staatschef. Der Fall Benes ist besonders pikant: diejenigen Juden, die überlebt hatten, wurden genauso enteignet und vertrieben wie die übrigen Deutschen. Die Juden in der CSR waren praktisch alle deutschsprachig; ihre Verfolgung durch die Nationalsozialisten war ein Akt der Selbstverstümmelung des Deutschtums, denn das jüdische Bürgertum repräsentierte wertvolles Humankapital (man denke an Husserl, Freud, Kafka usf.) Aber für den Vertreiber Benes und auch für die heutige CZ-Regierung sind die damaligen Greueltaten an deutschsprachigen Menschen – egal ob Nationalsozialisten, Juden oder apolitischen – legitim! So konnte es zu grotesken oder tragikomischen Szenen kommen. Etwa wenn ein deutscher Heimatvertriebener plötzlich seine Habe auf einem Lastauto wiedersah, als tschechische Flüchtlinge 1948 das geraubte Gut, das sie jetzt als ihren rechtmäßigen Besitz ansahen, nach Westdeutschland retteten. Man darf gespannt sein, ob die EU Anstoß daran nehmen wird, daß die Benes-Dekrete in der CZ weiterhin in Kraft bleiben, obgleich sie mit der Rechtsordnung der EU unvereinbar sind. Es werden sich bestimmt Juristen finden, welche die Unvereinbarkeiten mit kunstvollen Konstrukten kamouflieren.

Ist es korrekt, von VERBOTENER Trauer zu sprechen? Gewiß, wenngleich die Maßnahmen der Machthaber inoffiziell waren und sind. Die Machthaber haben es systematisch verhindert, daß die Jugend über die Vergangenheit informiert wurde, außer in politisch korrekten und zensierten Teilen. Über die oft bestialisch ermordeten Deutschen zu trauern, war und ist nicht politisch korrekt. – Die "Spitzenpolitiker" haben sich gegenüber den Vertriebenen besonders gemein verhalten. 1969 hatte das Bundesarchiv in Koblenz den Auftrag erhalten, die Unterlagen im Hinblick auf die bei der Vertreibung verübten Verbrechen auszuwerten. 1974 legt es seinen Bericht vor. Dieser Bericht wurde von der SPD/FDP-Koalition unter Verschluß gehalten. Bereits 1967 hatte der damalige Bundesvertriebenenminister Windelen eine entsprechende Kabinettsvorlage ausgearbeitet. Doch auf Betreiben des Außenministers der Großen Koalition, Genosse Willy Brandt (später Dr. h. c. Moskau), kam sie nicht einmal auf die Tagesordnung des Kabinetts. Wäre es nach Willy Brandt gegangen, hätte die Öffentlichkeit von diesem Auftrag an das Bundesarchiv nie etwas erfahren. Durch den Bericht von Heinz Vielain im "Bayernkurier" vom 12. 7. 69 kam die Sache dann doch an den Tag. Der oben genannte Bericht des Bundesarchivs, der 1974 vorgelegt worden war, wurde nicht veröffentlicht. Der damalige Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP) verhinderte das: "Schauen Sie, ganz sicher ist insgesamt diese Sache keine Frage historischer Wahrheit, sondern politischer Vernunft..." Die Jugend sollte desinformiert bleiben. Der spätere Nachfolger von Maihofer, Gerhart Baum, erklärte: eine Darstellung von an Deutschen begangenen Verbrechen sei "nicht zweckmäßig." Sie würde nur zu einer "Aufrechnungsdiskussion" (Jürgen Habermas) führen. Baum hatte auch lapidar – gegen besseres Wissen – befunden: die junge Generation sei hinreichend informiert. Entgegen den ursprünglich gegebenen Versprechungen war die Bundesregierung nicht einmal bereit, Wissenschaftlern die Untersuchung zur Verfügung zu stellen. Der bekannte amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas (UNO in Genf) erhielt auf seinen Antrag auf Einsichtnahme vom Minister Maihofer am 14. 10. 74 die Antwort: "... das Bundesarchiv bittet daher um Verständnis, Ihren Wunsch nach Überlassung eines Exemplars nicht erfüllen zu können." Der damalige Staatssekretär Klaus Bölling sagte daher bewußt die Unwahrheit, als er am 4.2. 1975 (im Deutschlandfunk) erklärte: "Jeder, der sich zu wissenschaftlichen und publizistischen Zwecken mit dieser Untersuchung vertraut machen will, hat ja auch Zugang zu ihr." Man sieht, mit welchen Mitteln die Genossen arbeiteten.

Im März 1975 legte Wilfried Ahrens sein Buch vor: Verbrechen an Deutschen – die Wahrheit, die Bonn verschweigt (ISBN 3-922 116-05-1). Nun war das "Geheimnis" gelüftet. Veritatem dies aperit. Die Bundesregierung schwieg. Vergebens erinnerte der damalige sowjetische Botschafter in Bonn, Valentin Falin, Bundeskanzler Schmidt an das angebliche Bonner Versprechen, die Dokumentation geheim zu halten.

Kleine historische Lapsus zu bemängeln, erscheint dem Rezensenten im Hinblick auf die Verdienste des Buches pedantisch. Der heutigen jungen Generation ist zu wünschen, daß Röhls Buch zur Pflichtlektüre im Gymnasium werde. Diese Hoffnung ist leider eitel, zumal die Mitglieder der derzeitigen Regierung fast alle aus dem Kommunistischen Bund kommen. Der Rezensent hofft, daß das Buch viele erweiterte Auflagen erleben möge.

em. o. Prof. Gerard Radnitzky, www.radnitzky.de

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