Die Toten

 

 

Keine Suche nach den Toten

 

 

Wo sind die Toten der Rheinwiesenlager geblieben?

 

Ca. 5000 Tote sind zu Lagerzeiten auf Lagerfriedhöfen beigesetzt worden, gerade so viele, wie heute von der offiziellen Geschichtsschreibung zugegeben werden.

 

Im Jahre 1953 wurden ca. 2000 Tote von den  Lagerfriedhöfen Galgenberg und Stromberg bei Bad Kreuznach auf den Friedhof Lohrer Wald umgebettet.

 

 

Der Soldatenfriedhof Lohrer Wald bei Bad Kreuznach

 

 

So ist von offiziellen Seite  nie die Notwendigkeit gesehen worden, nach Massengräbern in der Umgebung der Rheinwiesenlager zu suchen oder nach Toten auf den Lagergeländen. Tote, die es nach offizieller Meinung nicht gibt, brauchen nicht gesucht zu werden.

 

Dem Volksbund für Deutsche Kriegsgräberfürsorge sind durch das Gräbergesetz von 1952 die Hände gebunden, weil er danach  nur für Kriegstote im Ausland zuständig ist.

Im Inland muß er auf einen Grabungsauftrag seitens deutscher Behörden warten. Solch ein Grabungsauftrag wird nicht erteilt.

 

Nur in einem Falle könnte der Volksbund von sich aus tätig werden: wenn jemand   über die Position  eines Massengrabes  eine eidesstattlicher Erklärung abzugeben bereit ist. Das ist bisher nicht geschehen.  Wer  sollte dazu auch in der Lage sein? Die Massengräber wurden von den Amerikanern ohne Zeugen angelegt. Nur durch eine professionelle Suche könnten sie ausfindig gemacht werden.

 

 

    

Grabung im Lager Bretzenheim

 

 

Nur einmal wird ein Grabungsversuch unternommen, von inoffizieller Seite:

 

Der Bundeswehrangehörige und Grabungsexperte Otto Schmitt aus Guldental bei Bretzenheim hat es sich seit ca. 1970 zur Aufgabe gemacht, in Eigenleistung Vermißtenschicksale aufzuklären.

 

 

 

Otto Schmitt am Gedenkkreuz des ehemaligen Gefangenenlagers

Galgenberg bei Bad Kreuznach

 

Er weiß, daß auf ehemaligen Lagergeländen der Rheinwieseen Erkennungsmarken deutscher Soldaten gefunden werden:

 

    Landwirt Karl Schneider aus Sinzig findet manchmal beim Pflügen seiner Äcker auf dem früheren Lagergelände die Erkennungsmarken deutscher Landser. Bis heute untersuchte niemand die  Gruben der ehemaligen 'Toilettenanlagen' auf die Überreste vermißter deutscher Wehrmachtsangehöriger hin.

(Helmuth Euler, Die Entscheidungsschlacht an Rhein und Rhur 1945,  Stuttgart 1981²,  S. 271)

 

Er beschließt, auf dem Gelände des  Lagers Bretzenheim auf eigene Kosten einen Grabungsversuch zu machen.

Das ca. 8 km² große   Gelände ist lediglich an einem seiner Ränder  neu bebaut. An der vorüberführenden Straße ist im Jahre 1966 ein Mahnmal aufgestellt worden.

 

 

 

 ''Mahnmal  FELD DES JAMMERS Bretzenheim

bei Bad Kreuznach. Errichtet zum Gedenken

an alle in der Kriegsgefangenschaft verstorbenen deutschen Soldaten'

Auf dem Mahnmal ist angegeben: Mai 1945 hundertundeintausend Gefangene, Juli 1945

Lagerübergabe an die Franzosen 17.500 Gefangene

 

Titelblatt des Berichtes von Erich Werner

 

Ansonsten wird das Gelände  wie ehedem von den Eigentümern als Feld genutzt.

 

Im Herbst 1985 beginnt Otto Schmitt nach Rücksprache mit dem Eigentümer Otto Tullius   an den ehemaligen Latrinen die ersten Grabungsarbeiten.  Das Interesse der Umwohner und der lokalen Presse wird wach. Wird es gelingen, seit bald einem halben Jahrhundert versunkene Tote zu bergen?

 

Einspruch

 

Noch ist kein Toter gefunden, dafür erscheint nach kurzer Zeit ungebetener Besuch. Eine Abordnung der Kreisverwaltung Bad Kreuznach überbringt ein Schreiben, in welchem mitgeteilt wird, daß das Gelände unter Denkmalschutz stehe und daß daher auf Anordnung des Landesamtes für Denkmalpflege in Mainz  Grabungen bei Androhung von 250 000 DM Geldstrafe verboten seien.

 

Otto Schmitt muß das Feld räumen.

 

 Am 27. 10. des folgenden Jahres 1986 wird das Rheinland-pfälzische Denkmalschutzgesetz verschärft. (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 291)

Zum Jahresende stellt Otto Schmitt den Antrag auf Fortsetzung seiner Arbeit.

Die Behörde nimmt sich mit der Antwort Zeit.  Im März des folgenden Jahres 1987 kommt die Ablehnung, die im Juli noch einmal bekräftigt wird:

 

    Schreiben der Kreisverwaltung Bad Kreuznach vom 16. Juli 1987, AZ: 363 - 11/18 - 8

 

    Im Einvernehmen mit dem Landesamt für Denkmalpflege - Abteilung Archäologische Denkmalpflege - kann eine Genehmigung zu Ausgrabungen auf dem Gelände des ehemaligen Gefangenenlagers in Bretzenheim gemäß § 21 des Denkmalschutz - und Pflegegesetzes, wie von Ihnen mit Schreiben vom 22. 12. 1986 beantragt, nicht erteilt werden.

 

Begründung:

 

    Seit 1966 ist das gesamte Lager durch ein weithin sichtbares Mahnmal als Gedenkstätte ausgewiesen. Aus Gründen der Pietät kann daher Ausgrabungen nicht zugestimmt werden, da diese nur eine unnötige Störung der Gedenkstätte bedeuten.

 

    Im übrigen würden Ausgrabungen zu einer Zerstörung der Geschichtszeugnisse führen, deren Spuren und Überreste geschützt im Boden liegen.

 

Otto Schmitt legt  Widerspruch ein.

 

Am 3. 2. 1988 kommt aus Bad Kreuznach mit

 

AZ: 11/057-W 145/87 der Widerspruchsbescheid:

 

 ....Kulturdenkmale (sind) Gegenstände aus vergangener Zeit, die Spuren und Überreste menschlichen Lebens sind und an deren Erhaltung und Pflege u. a. aus wissenschaftlichen Gründen oder zur Förderung des geschichtlichen Bewußtseins ein öffentliches Interesse besteht.

    Kulturdenkmal ist......das Gelände des ehemaligen Gefangenenlagers mit seinen in der Erde befindlichen Geschichtszeugnissen als solches, das als Bodenurkunde durch das Mahnmal verdeutlicht  und als Kulturdenkmal kenntlich gemacht wird.

(Schreiben S. 4)

 

Die Begründung der zu schützenden Gedenkstättenruhe wird  noch präzisiert:

 

    Auch die Schlachtfelder  der Vogesen und die Konzentrationslager des Dritten Reiches seien so belassen worden, wie sie Zeit, Leid und Urgeist (Anm. : ein Druckfehler? Sollte es vielleicht Ungeist heißen?)  geschaffen hätten.

(Schreiben S. 3)

 

Obwohl der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge,  die Gemeinschaft der Jagdflieger und sogar die Kreisverwaltung Bad Kreuznach selbst für eine Aufhebung des Verbots plädieren, wird diese weiterhin vom Landesamt für Denkmalpflege in Mainz verweigert.

 

Otto Schmitt kann den Argumenten des Landesamtes noch immer nicht folgen. Am 4. März 1988 klagt er vor dem Verwaltungsgericht Koblenz gegen das Land Rheinland-Pfalz.

 

Am 22. Juni 1989 wird die Klage mit AZ 1 K 131/88 abgewiesen.

 

    Das Gericht hat sich die Auffassung des Dr. Rupprecht vom Landesamt für Denkmalpflege - Abteilung archäologische Denkmalpflege zu eigen gemacht:

 

    Das Lagergelände bleibt  Kulturgut, an dessen Erhaltung ein öffentliches Interesse bestehe.

     Angesichts des Streites um die Zahl der in dem Lager umgekommenen Kriegsgefangenen (die Schätzungen reichen von 600 bis 10 000 Soldaten...) besteht ein Interesse daran, die historische Wahrheit exakt zu erforschen. Sollte die Vermutung des Klägers zutreffen, daß Gefangene in der Lagerlatrine aus Schwäche  umgekommen sind, so läßt dieser Umstand wesentliche Schußfolgerungen auf die Lebensbedingungen der  Lagerinsassen zu. Daneben können bei den Ausgrabungen gegebenenfalls auch Befunde darüber erhoben werden, wie die Latrinenanlage überhaupt ausgesehen hat, um Rückschlüsse auf die hygienischen Verhältnisse im  Lager zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrind ist aus geschichtswissenschaftlichen  Gründen ein öffentliche Interesse an der Erhaltung des Bodendenkmals "ehemalige Lagerlatrine" zu bejahen.

(Schreiben S. 6)

 

Da der Kläger zum einen lediglich als Hobbyarchäologe eingestuft wird, zum anderen das vorrangige  Ziel seiner  Ausgrabungstätigkeit nicht die Erforschung der Lagergeschichte, sondern lediglich  die Aufklärung  von Vermißtenschicksalen sei, müsse befürchtet werden,

 

    daß wichtige  Bodenfunde durch unsachgemäße  Grabung zum einen nicht zur Kenntnis genommen und damit zum anderen für immer zerstört werden.......

    der Schutz der "Bodenurkunde" verlange, daß die Grabung ausschließlich von den Fachkräften der Denkmalpflege durchgeführt werde. ....

 

Die Denkmalbehörde aber sei derzeit nicht in der Lage,

 

    auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Bretzenheim Grabungen durchzuführen, weil das Fachpersonal zu stark mit der Sicherung von Kulturdenkmälern beschäftigt sei, deren Erhaltung durch aktuelle Baumaßnahmen gefährdet werde.

(Schreiben S. 8 f.)

 

Die Falle hat zugeschnappt:

 

Das Gelände ist Kulturgut.

Kulturgüter können nur von Fachkräften des Landesamt ausgegraben werden.

Fachkräfte stehen nicht zur Verfügung.

 

Otto Schmitt, dem sämtliche Kosten der Verfahren auferlegt werden, gibt auf.

 

Es wird wieder still um die Toten des Gefangenenlagers Bretzenheim.

 

 Der in verschiedenen Zeitschriften und dann auch im Internet erscheinende Artikel Gräberschändung auf bundesdeutsche Anordnung von Klaus Bunge erregt untergründig Aufmerksamkeit, animiert aber niemanden zu Taten.

 

Am 2. April 1995 findet mit Ansprachen, Kranzniederlegungen  und Schweigemärschen eine Gedenkfeier für das Lager statt, der Tenor der Feierlichkeiten ist Versöhnung. Der weiterhin in den Latrinen ruhenden Kulturgüter wird keine Erwähnung getan.

 

Der Leiter des Gemeindemuseums Bretzenheim, wo die Lagergeschichte in Bildern und Dokumenten einzusehen ist, antwortet auf Fragen nach den in den Latrinen  ihrer Bestattung harrenden Toten nur resigniert: Laßt  doch die Toten ruhen!  

 

 

 

Das ehemalige Lagergelände von Bretzenheim

 

 

Zum Jahresende 2002 schließlich stimmt das  Landesamt für Denkmalpflege in Mainz Grabungen auf dem Lagergelände des ehemaligen Gefangenenlagers Bretzenheim zu, sofern sie vom  Volksbund für Deutsche Kriegsgräberfürsorge vorgenommen werden.

Der Volksbund  aber muß nach geltendem Gesetz  vom Innenministerium Rheinland Pfalz zum Graben aufgefordert werden.

 

Das Innenministerium Rheinland Pfalz aber erteilt keine Grabungsgenehmigung.  mit einem Schreiben vom 7. Mai 2003, AZ: 15 415-8.0/313;01 wird dem Betreiber dieser Netzseite folgende Begründung mitgeteilt:

 

Auf dem ehemaligen Lagergelände befänden sich keine Gräber. Das habe der Landesverband des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge Rheinland Pfalz mit einem Schreiben vom 13. 01. 2003 bestätigt. Ebenso habe die zuständige Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, Trier mitgeteilt, daß sich auf dem ehemaligen Lagergelände keine Gräber befänden. Angaben, welche Anlaß für eine Suche nach möglicherweise verscharrten deutschen Kriegsgefangenen sein könnten, seien bislang nicht angetragen worden.

 

 

 Die Lage im November 2011

 

Acht Jahre sind seit Erstellung dieser Netz-Seite vergangen, acht Jahre, in denen die Toten der Rheinwiesen weiterhin vergessen in deutscher Erde auf ein Grab warten.

 

Die BRD  besteht weiterhin darauf, daß es außer den offiziell Begrabenen der Rheinwiesen keine weiteren Toten in nennenswerter Anzahl gebe.

 

Grabungen im „Kulturdenkmal“ Bretzenheim sind weiterhin verboten.

 

Grabungen in anderen Lagergeländen könnten nur genehmigt werden, wenn bereits Tote gefunden seien.

Tote aber werden nur durch Grabung gefunden, und ungenehmigtes Graben ist verboten.

 

So hat es bisher auch keine Nachforschungen nach möglichen Massengräbern in näherer oder weiterer Umgebung der einzelnen Lager gegeben.

 

Die Vermißte Million ist weiterhin vermißt.

 

 

Die Adressen

 

 

Ministerium des Inneren und für Sport

Schillerplatz 3-5

55116 Mainz

 

***

 

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

Werner Hilpertstraße 2

34112 Kassel

  

***

 

Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz
Archäologische Denkmalpflege
Amt Mainz
Große Langgasse 29
55116 Mainz

 

Artikel der Jungen Freiheit:

Vergessene Opfer, 29. 11. 02

Gefangen in der Mühle der Bürokratie, 13. 12. 02

 

 

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Warum ist das so?

 

Warum sind die Kriegsverbrechen der Rheinwiesenlager noch immer ungesühnt?

 

Warum liegen unsere Väter und Großväter noch immer ungeborgen in Massengräbern und in den Schlammlöchern und Latrinen am Rhein?

 

Warum wagen die Besiegten selbst nach einem halben Jahrhundert noch immer nicht, die eigenen Toten zu berühren?

 

Warum lassen die Besiegten sich noch immer die Trauer verbieten?

Warum ist es noch immer  eine fast kriminelle Handlung,

die Toten der Rheinwiesen zu ehren?

 

Es ist,  als läge ein Fluch nicht nur über den Todeslagern am Rhein, sondern über  dem ganzen Land, in welchem die Toten vergebens nach den Lebenden rufen.

 

Wie lange noch?

 

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